Die Meinungen sind gespalten
"Gladiator 2" laut Historikerin "Hollywood-Bullshit" - aber das ist auch gut so
- Veröffentlicht: 18.11.2024
- 19:32 Uhr
- Jannah Fischer
In "Gladiator 2" schwimmen Haie bei der Seeschlacht im Kolosseum, ein anderes Mal reitet ein Gladiator auf einem Nashorn durch die Arena. Realismus? Fragwürdig. Doch müssen historische Spielfilme immer auch akkurat die echten Umstände abbilden, oder darf man sich im Namen der Kunst Freiheiten erlauben?
Dr. Shadi Bartsch, Professorin für klassische Philologie an der Universität von Chicago, hat ein harsches Urteil über Ridley Scotts "Gladiator 2" gefällt. Für die Professorin, die sich in ihrer Arbeit und mehreren Büchern intensiv mit dem antiken Rom auseinandergesetzt hat, ist es "totaler Hollywood-Bullshit". Was sie damit meint? Die historischen Ungereimtheiten im Film. Sie meint damit Übertreibungen, die den Film noch spannender machen sollen.
Haie, Nashörner und Zeitungen: Das stört die Forscherin an "Gladiator 2"
Bestes Beispiel: Die Darstellung der Seeschlacht im Kolosseum. Die sogenannten Naumachien (nachgestellte Seeschlachten) im antiken Rom sind belegt, auch dass oft historische Kämpfe noch einmal mit Gladiatoren nachgespielt wurden - meist mit tödlichem Ausgang, denn aus den brutalen Seeschlachten schafften es nur wenige der Kämpfer wieder heraus. Das Kolosseum hatte ursprünglich ein komplexes System von Abflüssen und Kanälen, das es erlaubte, die Arena mit Wasser zu füllen. Es wird angenommen, dass diese Technik genutzt wurde, um kleine Seen oder Becken für Naumachien zu schaffen.
Was ist also daran so unrealistisch, dass sich Dr. Shadi Bartsch dieses Urteil erlaubt? Die CGI-Haie, die, während Paul Mescal mit seinen Gladiatoren-Kameraden auf den Schiffen kämpft, alle auffressen, die ins Wasser fallen. "Ich glaube nicht, dass die Römer überhaupt wussten, was ein Hai ist", resümiert sie.
Auch ein weiteres computeranimiertes Tier in der Arena gibt Anlass zum Stirnrunzeln: das berittene Nashorn, gegen das Paul Mescals Rolle Hanno antreten muss. "Martial schrieb im Jahr 80 n. Chr. ein Gedicht über ein Nashorn, das einen Stier in den Himmel schleudert", räumt Bartsch ein. Im Film sei jedoch ein zweihörniges Nashorn zu sehen, obwohl nur ein einhörniges Nashorn belegt ist. Fraglich sei auch, ob Gladiatoren auf den Tieren ritten, wie es Mescals Filmgegner tut.
Auch ein römischer Adliger, der 1.200 Jahre vor dem Buchdruck in einem Café eine Zeitung liest, ist an den Haaren herbeigezogen. "Es gab zwar tägliche Nachrichten wie die 'Acta Diurna', aber diese wurden in Stein gemeißelt und an bestimmten Orten aufgestellt", erklärt die Professorin. "Man musste zu ihnen hingehen, man konnte sie nicht in einem Café lesen. Außerdem gab es keine Cafés!" Also kein morgendlicher Venti Latte mit Pumpkin Spice inklusive Sportteil für die antiken Römer.
Zwar gab es den (größen)wahnsinnigen Kaiser Caracalla (gespielt von Fred Hechinger), Geta (gespielt von Joseph Quinn) und Macrinus (Denzel Washington) wirklich - doch hier endet die historische Genauigkeit. Ja, Geta wurde wirklich durch Caracalla ermordet, aber die Umstände waren andere. Und ja, auch Macrinus arbeitete sich von unten bis zum Präfekten unter Caracalla hoch, doch im Film hat das mehr "American Dream"-Vibes als historische Realität.
Historisch richtig ist schön - aber nicht alles
Bereits bei seinem letzten Film "Napoleon" (mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle, der in "Gladiator" den Fiesling Emperor Commodus spielte) wurde Regisseur Scott vorgeworfen, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. "Bis man im Jahr 2024 ankommt, ist ohnehin alles Spekulation", begründete er damals seine künstlerische Freiheit über die Geschichtsschreibung.
Das lassen wir jetzt einfach mal so stehen. Tatsächlich stellt sich die Frage, wieso es denn so wichtig ist, bei einem Spielfilm auf dokumentarische Genauigkeit zu achten? Natürlich macht es mehr Spaß, wenn man mitbekommt, dass Filme wie "Interstellar" von Christopher Nolan recht nah an der Wissenschaft ist. Doch machen Filme wie "Alien" weniger Spaß, weil die Wahrscheinlichkeit von einem intergalaktischen Predator angegriffen zu werden, gleich null sind? Eben!
"Gladiator 2" ist zwar keine Science-Fiction, aber er erhebt auch nicht den Anspruch, auf wahren Begebenheiten zu beruhen oder gar eine Dokumentation über das alte Rom zu sein. Es ist wie "Mission: Impossible" - nur mit Gladiatoren statt absurd talentierten Geheimagenten. Filmemacher haben keine Verpflichtung, die Realität eins zu eins abzubilden. Man denke nur an "Bridgerton" und die multikulturelle Version der Regency-Ära, die es so in echt nicht gegeben hat. Aber genau dieser Bruch macht die Serie erst so interessant (und bescherte uns Regé-Jean Page als Duke Hastings). Lasst uns also einfach mal alle ausatmen, das Popcorn bereitstellen und einfach wieder mehr Spaß an Filmen haben - anstatt beim gemütlichen Kinoabend alles auf die Goldwaage zu legen. Besonders bei einem Film, dessen kleinstes Problem die historischen Ungereimtheiten sind.